Literaturbesprechung
zur Fragestellung „Führt Russland mit vermehrten Hackerangriffen, Datenraub und
Desinformationskampagnen eine Art „Cyberkrieg“ gegen politische Gegner?“
Verfasser: Julius Barz
Im Vorfeld der Ansetzung der Hausarbeit habe ich das Buch „Digitale
Diktatur“ der Autoren Stefan Aust und Thomas Ammann gelesen. Dieses behandelt
den Wandel der Politik und der individuellen menschlichen Lebensqualität im
Zeitalter des Internets, betrachtet entlang der drei großen Schlüsselwörter „Totalüberwachung“,
„Datenmissbrauch“ und „Cyberkrieg“.
Genauer unter die Lupe genommen wird hierbei die Rolle der
USA, ein besonderes Augenmerk liegt auf den datensammelnden
Weltunternehmen Google, Facebook und
Amazon. In den Kapiteln „Hacker für Moskau: Visionen vom digitalen Krieg“ und
„Cyberwar: die @-Bombe“, die ich mit besonderem Interesse gelesen habe, werden
außerdem die politischen Machenschaften Russlands im World Wide Web umrissen.
Das Lesen dieser Kapitel war Hauptinspirationsquelle für die Fragestellung meiner
Hausarbeit.
Zur Bearbeitung meiner Fragestellung habe ich außerdem das
Buch „Cyberpunks – Unsere Freiheit und
die Zukunft des Internets“ der vier populären Netzaktivisten Julian Assange,
Jacob Appelbaum, Andy Müller-Maguhn und Jérémie Zimmermann analysiert, aus
welchem in „Digitale Diktatur“ mehrfach zitiert wird. Das dritte Buch, das ich
im Rahmen der Literaturschau erläutern werde,
ist „Putins Kalter Krieg – Wie Russland den Westen vor sich hertreibt“,
das vom ehemaligen Russland-Korrespondenten der FAZ, Markus Wehner, verfasst
wurde. Dieses Buch wurde mir von einem politisch interessierten Freund
empfohlen.
Die Rolle Russlands und dementsprechend auch die Frage, ob
das Land sich gezielt in einer Art Cyberkrieg mit politischen Gegnern befindet,
wird in den drei Büchern auf sehr unterschiedliche Art und Weise und mit
jeweils anderer Gewichtung behandelt. Aust und Ammann etwa konzentrieren sich
stärker auf die generellen Gefahren der „digitalen Diktatur“: Als solche
benennen sie beispielsweise die mangelnde Privatsphäre im Netz oder den
Datenraub und Datenmissbrauch durch Megakonzerne. Mit Blick auf Russland gehen
die Autoren im Detail auf die vom Staat initiierten und gesteuerten
Hackergruppen und den Ursprung der Cyberspionage Russlands zu KGB Zeiten in der
damaligen Sowjetunion ein.
„Cyberpunks“ ist ein
Expertengespräch in Interviewform, das unter Anderem das Horten von riesigen
Datenmengen von Weltunternehmen sowie das gegenseitige Abhören der
internationalen Industrienationen kritisch beleuchtet und zur
Datenverschlüsselung für alle als Waffe gegen die Überwachung im Netz aufruft.
In dem Gespräch werden zwischen den Zeilen immer wieder russlandkritische
Stimmen laut.
Markus Wehner setzt sich in „Putins kalter Krieg“ kritisch
mit der harten Machtpolitik Russlands auseinander und geht dabei explizit auf
die mutmaßlich kremlgesteuerten Hackerattacken und Desinformationskampagnen
ein. Wehners Interpretation ist eindeutig: Putins Russland führt im
Hintergrund, abseits der offenen weltpolitischen Bühne, einen neuen „kalten
Krieg“ im Netz. Einerseits werden, so Wehner, Informationen illegal und in
großem Stil beschafft, andererseits wird die globale Netz-Öffentlichkeit durch
das Lancieren von Falschinformationen manipuliert.
Wehner zeichnet in seinem Werk ein teilweise von enormer
Subjektivität geprägtes Gesamtbild Russlands als skrupellose, geradezu
kriminell agierende politische Macht mit all ihren strategischen Machtspielchen
und kompromisslosen, machtpolitischen Schachzügen. Aufgrund der Interviewform,
die mehrere Fachleute zu Wort kommen lässt,
bietet das Buch „Cypherpunks“ eine ganz andere Lesart: Da die
Ausführungen als Diskussionsbeiträge von Einzelpersonen vorgebracht werden,
lesen sie sich auch eher als Meinungsäußerungen denn als belegte Fakten. Nur
gelegentlich werden Fakten quasi als Hintergrundinformationen zum besseren
Verständnis eingestreut.
„Digitale Diktatur“ unterscheidet sich von beiden anderen
Büchern durch einen weiter gefassten Ansatz, der sich auf Schlüsselfragen
konzentriert und nicht das Handeln eines einzigen Akteurs in den Mittelpunkt
stellt. Somit werden auch andere Global Player der Netzwelt ins Visier genommen
und es entsteht nicht das Bild eines aggressiven Cyberkrieg führenden Russlands
auf der einen und „dem Rest der Welt“ auf der anderen Seite. Im Gegenteil, die
Autoren beschreiben Russland als einen von vielen Akteuren im Spannungsfeld des
von den führenden Industrienationen im Cyberspace geführten Wettstreits um
Daten, Einflussnahme und Deutungshoheit. Spionage, Manipulation und
Desinformationen sind dabei Mittel und Waffen, die von allen Akteuren – mal
mehr, mal weniger skrupellos – ins Feld
geführt werden.
Des Weiteren versucht lediglich das Werk von Aust und Ammann,
den Start sowjetischer Netzspionage und Hackingaktivitäten historisch zu
begründen. Dazu wird der Fall des deutschen Hackers Karl Koch sehr legendenhaft
und auf nahezu verklärende Art und Weise aufgegriffen.[1]
Koch war Mitglied einer Gruppe junger deutscher Hacker des Chaos Computer
Clubs, die Mitte der Achtziger Jahre systematisch geheimste Militär-,
Forschungs- und Wirtschaftsdaten aus den Rechenzentren der USA, Europas und
Japans abgesogen und in die Sowjetunion weitergeleitet haben. Koch hat in
großem Umfang und systematisch der Sowjetunion zugearbeitet.
Die Zusammenarbeit zwischen KGB und der jungen deutschen
Hackergruppierung hat medial in Deutschland große Wellen geschlagen und gilt für
viele Experten als Geburtsstunde russischer Cyberspionage. Eine solche Deutung
ist natürlich ganz anderer Natur als die
ansonsten – auch von den Autoren der anderen beiden Werke – kolportierte
Sichtweise, der vermeintliche Cyberkrieg des heutigen Russlands sei „Putins
Kalter Krieg“. Putin gilt der Weltöffentlichkeit gemeinhin als skrupelloser
Machtmensch, dem jedes Mittel Recht ist, und dem man daher auch die „Erfindung“
des systematischen Cyberkriegs gegen den Westen zutraut. Für Ammann und Aust
steht Putin dagegen nicht als „Erfinder“ dieser modernen „Kriegsform“ da,
sondern als gewiefter „Fortsetzer“ einer aus Sowjetzeiten herrührenden
Spionageform und –tradition.
Zwei weitere Beispiele, mit denen die Autoren Russlands Art
und Weise politischer Aktivität im Netz veranschaulichen, sind die mutmaßlich
staatlich organisierten Hackangriffe auf die ehemaligen Sowjetstaaten Estland
und Georgien.[2] Im Jahr
2007 verabschiedete Estland ein Gesetz, mit dem sämtliche Erinnerungen an die
sowjetische Besatzung ausgelöscht werden sollten. Im Rahmen dieser politischen
Entscheidung sollten auch etliche Denkmäler vernichtet werden, die an diese
Epoche erinnern.
Zu den für die Zerstörung vorgesehenen Denkmälern gehörte auch eine Bronzestatue in
der estnischen Hauptstadt Tallinn, die einen Soldaten der Roten Armee in
heroischer Pose darstellt und die an die sowjetischen Gefallenen im Zweiten Weltkrieg
erinnert. Das Vorhaben führte zu Unmut und Tumulten in Russland, die am
27.04.2007 in der sogenannten „Bronzenacht“ gipfelten. Estnische Nationalisten,
die gedroht hatten, die Statue in die Luft zu sprengen, lieferten sich vor dem
Denkmal eine erbitterte Straßenschlacht mit in Estland lebenden Russen, die mit
aller Macht versuchten, ihr Nationalheiligtum zu retten.
Nachdem estnische Behörden reagierten und die Statue, quasi
als Kompromisslösung, auf einen weniger exponierten Platz auf dem
Soldatenfriedhof versetzten, eskalierte die Situation erneut – allerdings auf
einem anderen „Kriegsschauplatz“: Anonyme User hatten zahlreiche Computer der
Welt mit Malware infiltriert und zu einem Botnetz zusammengeschlossen, das
innerhalb kürzester Zeit das gesamte estnische Internet lahmlegte. Bis heute
kann nicht nachgewiesen werden, dass der Angriff aus Russland initiiert wurde,
von wo laut Autoren „nahezu nichts über die staatlichen Hackeraktivitäten nach
außen dringt.“[3] Es gilt aber als sicher, dass Russland
Drahtzieher des Cyberschlags war. Wenn dem so war, zeigt sich an diesem
Beispiel sehr deutlich, dass Cyberattacken tatsächlich als Waffen in Konflikten
eingesetzt werden, in denen konventionelle Waffen nicht verwendet werden
können.
Georgien bekam knapp ein Jahr später im Streit um das
abtrünnige Südossetien ebenfalls eine Machtdemonstration des einstigen
Mutterlandes durch deren „Netzkrieger“ zu spüren. Georgien wurde mit
sogenannten DDOS-Attacken überschwemmt. Resultat der Attacken war, dass die
Georgier keine E-Mails mehr ins Ausland schicken konnten und vom Zugang
fremdländischer Informationsquellen abgekapselt wurden, sodass es unmöglich
gemacht wurde, sich über das Internet ein Bild über die Lage in Südossetien zu
machen.
Die Putin-Regierung wies in der Folge gemäß dem gewöhnlichen
Muster jegliche Schuldvorwürfe für die Cyberangriffe von sich. Die Vehemenz,
mit der die mutmaßlichen russischen Netzkrieger vorgingen, ließ dann auch die
NATO aufschrecken und zu einer Gegenmaßnahme greifen. Ausgerechnet in Estland
wurde das Cyber Defense Center gegründet, das kommende Angriffe auf die
internetbasierte Infrastruktur von Bündnisstaaten im Keim ersticken soll. Auch
hier lässt sich eine Analogie zu konventionellen Drohgebärden aus Zeiten des
Kalten Krieges ziehen: Nato-Manöver in Grenznähe des potenziellen Feindes als Säbelrasseln
und Drohgebärden werden nun durch sichtbare Strategien der Cyberabwehr an der
Grenze zum virtuellen Angreifer ergänzt.
Auch Wehner greift in „Putins kalter Krieg“ die Vorfälle in
Estland und Georgien auf. Im Gegensatz zu der faktenreichen und wertungsfreien
Berichterstattung aus „Digitale Diktatur“ allerdings mit einer augenscheinlich
russlandkritischen Färbung. Restzweifel, dass die Angriffe regierungsunabhängig
organisiert gewesen sein könnten, werden gar nicht erst geäußert und die
Politik des Kremls als skrupellose und
hinterlistige Machterhaltungsstrategie dargestellt.
Die Propaganda und Zensurpolitik der russischen Regierung
erhalten großen Raum in den Ausführungen des heutigen FAS-Redakteurs. Das
Agieren Russlands wird von ihm überdeutlich als „Russlands Informationskrieg“
gebrandmarkt. Wehner führt aus, wie bereits zu Beginn von Putins Amtszeit
regierungskritische Medienanstalten verboten oder durch staatlich kontrollierte
Konzerne wie dem Gasgiganten Gazprom übernommen und somit auf Linie gebracht
wurden.[4]
Die immer striktere und unverhohlenere Zensur in Russland
habe, so Wehner, mittlerweile dazu geführt, dass Oppositionelle kaum noch Gehör
in der Öffentlichkeit finden und das Informationsmonopol des Kremls jegliche
laute Kritik verstummen lassen hat. Seitdem werde von den staatlichen Medien
das Bild erzeugt, Russland sei von Feinden von allen Seiten umgeben, aber
zeitgleich so stark und mächtig, dass alle Angriffe erfolgreich abgewehrt
würden. Als Hauptfeindbild werden in der Regel die USA dargestellt.
Die Beeinflussung der Bevölkerung durch die Berichterstattung
im Konflikt um die Krim bezeichnet Wehner sogar als eine „Abwertung der
Regierung in Kiew, die im Kontext des historischen und politischen Bewusstsein
der Russen kaum hätte größer sein können“.[5]
Laut russischer „Propaganda-Lesart habe auf dem Majdan nämlich ein
faschistischer Putsch stattgefunden, und eine faschistische Junta war, mit
Unterstützung der EU, an die Macht gekommen.“[6]
Wehner zeichnet ein Bild Russlands, das auf diese Weise tatsächlich sogar einen
„Krieg“ gegen das eigene Volk führt: Mit Hilfe von Medienmanipulation und
taktischer Internetpropaganda ist es Putin offenbar gelungen, seine eigene
Wahrheit „unters Volk“, nämlich unter sein Volk, zu bringen.
Im Fokus von Wehners Kritik steht ganz besonders der
Fernsehsender Russia Today (RT), der 2005 gegründet wurde, um nach Putins
eigener Aussage „das Monopol der angelsächsischen Medien zu brechen.“[7]
Seitdem verbreite RT an über 130 Standorten in dreißig verschiedenen Sprachen
gezielt Desinformation. Neben der schlichten Fälschung von Beiträgen, würden
zudem Szenen aus Filmen als echtes Bildmaterial klassifiziert und stellenweise
auch Vermutungen und Verschwörungstheorien zu Propagandazwecken in Umlauf
gebracht. Hier zeigt sich also, dass im Medien-, Meinungs- und Internetkrieg
auch im wörtlichen Sinn Grenzen überschritten werden. Es genügt der russischen
Propagandamaschinerie, so lassen sich Wehners Ausführungen interpretieren,
nicht, lediglich in Russland die Putin-konforme Sicht der Dinge zu verbreiten,
nein: Auch das Ausland wird ins Visier genommen.
Weitere wichtige Akteure in Russlands Informationskrieg
gegen den Westen sind nach Meinung des
Autoren die russischen Internettrolle. So habe der Kreml Wehner zufolge eine
Vielzahl meist mehrsprachiger, studentischer Arbeitskräfte eingestellt, die
verdeckt arbeiten, um die öffentliche Meinung im World Wide Web zugunsten der
Russen zu beeinflussen. In vielen verschiedenen Sprachen würden die Kommentarspalten
der großen sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram missbraucht,
um die westliche Meinungsbildung zu manipulieren. Die üblichen
„russlandtypischen Feinbilder“ erfahren auf diese Weise quasi eine
Internationalisierung auf vermeintlich freiem, unabhängigem Terrain – nahezu
verleumderische Darstellung der USA und der EU sind hier an erster Stelle zu
nennen.
Politische Aktivitäten der Russen werden Wehner zufolge
hingegen systematisch geschönt oder bewusst verdreht dargestellt. Gerade die
Vorgänge auf der Krim sollten durch die Arbeit der Trolle verschleiert werden.
So sollen die Berichte der westlichen Medien als widerliche Hetze bezeichnet
worden sein und dort die „Faktenlage“ so manipuliert worden sein, dass die
russische Bevölkerung glauben musste, man habe sich eigentlich einer
Nato-Aggression gegen Russland gegenüber gesehen. Nach Aussagen Wehners sind
diese Trollkampagnen von großem Erfolg gekrönt gewesen.
Renommierte Webseiten in Europa und den USA wie der
„Guardian“ oder die „Huffington Post“ seien während der Ukraine-Krise von
Kommentaren auf der Linie des Kremls förmlich überschwemmt worden. Etliche
deutsche Nachrichtenseiten sollen sogar ihre Kommentarfunktionen abgeschaltet
haben, da sie nicht mehr zwischen Trollen und echten Usern entscheiden konnten
und sich nicht im „russischen Informationskrieg“ instrumentalisieren lassen
wollten. Besonders gefährlich werden von Wehner die Trolle eingeschätzt, die
von der ewig gleichen gewöhnlichen Art von Propaganda abweichen. So soll es zum
Beispiel Trolle geben, die unter dem Deckmantel einer vermeintlich
prowestlichen Gesinnung bei gewissen Fragen plötzlich in eine
russlandfreundliche Richtung argumentieren. Auch sind, so Wehner, staatlich instrumentalisierte
Universitätsprofessoren aktiv, die in wissenschaftlichen Foren
regierungskonforme Kommentare verfassen.
In dem Buch „Cypherpunks“ wird die Thematik auf eine
vollkommen andere Art und Weise behandelt. Die vier Netzaktivisten Appelbaum,
Assange, Müller-Maguhn und Zimmermann äußern in einem freien Gespräch ihre
Meinung zu der gesellschaftlichen Entwicklung im Zeitalter des Internets. Sie besprechen unter anderem die Rolle der großen
Unternehmen wie Google oder Facebook in der Weltpolitik und prangern die
mangelnde Freiheit des einzelnen Users durch kontinuierliche Spionage und
Datensammlung im Auftrag von Regierungen oder auf Betreiben der globalen
Riesenkonzerne an.
Die Netzaktivisten
denken und argumentieren weniger geo- oder machtpolitisch, sondern orientieren
sich an der geforderten und zu verteidigenden „Netzfreiheit des Einzelnen“.
Individuen sollten vor den Manipulationen großer Akteure geschützt sein – so
lässt sich das Anliegen der vier Autoren vielleicht vereinfacht zusammenfassen.
Putin ist hier offenbar nicht der „übliche Verdächtige“, sondern als Hauptverursacher für die nach Meinung der
Experten schlechte, weil freiheitsraubende Entwicklung des Internets, werden in
erster Linie die USA gesehen: „…die vereinte Macht von US-Botschaft und VISA
hat ausgereicht, um selbst Russland daran zu
hindern, in Russland sein eigenes, inländisches Bezahlkartensystem
einzurichten.(…)Was bedeutet, dass selbst Zahlungen russischer Bürger in
russischen Läden in amerikanischen Rechenzentren verarbeitet werden. So fällt
der amerikanischen Regierung die Rechtshoheit darüber zu, zumindest hat sie
Einsicht.“[8]
Die Lektüre aller drei Bücher, so unterschiedlich sie in der
Darstellungsform auch sind und so verschieden sie ihren inhaltlichen Fokus
legen, versetzt mich in die Lage, ein zwar differenziertes, aber doch klares
Resümee zu fassen: Ja, Russland führt einen Cyberkrieg. Ja, auch gegen
politische Gegner. Aber: Russland ist offensichtlich nicht der einzige
„Cyberkrieger“ im World Wide Web. Auch andere Regierungen und Großkonzerne
agieren durchaus mit zweifelhaften bis illegalen Mitteln.
Allerdings, so scheint es mir, ist Russland aggressiver,
unverhohlener und systematischer an der virtuellen Front unterwegs. Wobei es
tatsächlich zwei Fronten gibt: Zum einen, wie in der Fragestellung vermutet,
führt Russland einen Cyberkrieg gegen politische Gegner. Gleichzeitig führt es
diesen aber auch gegen das eigene Volk, das mit allen verfügbaren Mitteln daran
gehindert werden soll, die Freiheit des Internets zur unabhängigen
Meinungsbildung zu nutzen.
Überraschend ist die Erkenntnis darüber, wie „kriegerisch“
Russland im Internet agiert, aber eigentlich nicht. Ich denke, man kann den
heutigen Cyberkrieg gegen politische Gegner tatsächlich als Fortsetzung alter
Feindschaften mit neuen Mitteln begreifen. Und da dieser Krieg im Verborgenen
stattfindet, gelingt das perfide Kunststück, auf öffentlicher politischer Bühne
gemäßigter und freundlicher gesonnen zu erscheinen.
Putin ist allerdings nicht der Erfinder des Cyberkriegs
russischer Prägung und schon gar nicht dessen globaler Erfinder. Er ist meiner Überzeugung
nach allerdings derjenige, der mit aller Macht auf diese Waffe setzt und sich
bewusst zum Ziel gesetzt hat, den Cyberkrieg zu perfektionieren. Wobei die vier
Netzaktivisten als Autoren von „Cypherpunks“ den Verdacht nähren, dass andere
Akteure mindestens genauso skrupellos agieren – allerdings weniger
offensichtlich und somit „unter dem Radar“ eines großen Teils der
Netzöffentlichkeit. Am Pranger steht vor allem Russland. An den Hebeln der
Cyberwaffen aber tummeln sich viele. Nach dem langen Zeitalter des atomaren
Wettrüstens und einer kürzeren Phase der Abrüstung scheint es nun ein
Wettrüsten im Cyberspace zu geben.
Literaturverzeichnis
Aust, Stefan; Ammann, Thomas. Digitale Diktatur. Berlin,
Ullstein Buchverlage GmbH, 2016. (Kurzform für Zitate/Vergleiche: Aust/Amman)
Assange, Julian; Appelbaum, Jacob; Müller-Maguhn, Andy;
Zimmermann, Jérémie. Cypherpunks. Unsere Freiheit und die Zukunft des
Internets. Frankfurt am Main/New York, Campus Verlag, 2013. (Kurzform für
Zitate/Vergleiche: Assange)
Wehner, Markus. Putins Kalter Krieg. Wie Russland den Westen
vor sich hertreibt. München, Verlagsgruppe Droemer Knaur, 2016. (Kurzform für Zitate/Vergleiche: Wehner)
[1]
vgl.Aust/Ammann, S.223 ff
[2]
vgl.Aust/Ammann, S.321 ff
[3]
Aust/Ammann, S.321
[4] vgl.
Wehner, S.82ff
[5] Wehner,
S.83
[6] Wehner,
S.83
[7] Wehner,
S.84
[8] Assange,
S.98